Kien Nghi Ha
German Head Hunters
Koloniale Praktiken in der deutschen Migrations- und Integrationspolitik(1)
Die gegenwärtige Diskussion über die befürchteten wie erhofften
Effekte der Einwanderung von benötigten Arbeitskräften nach
Deutschland findet ohne jede geschichtliche Reflexion in einem scheinbaren
Vakuum statt. Dabei sind Forderungen nach einer begrenzten und
einträglichen Zuwanderung, die zudem die gesellschaftlichen
Verhältnisse und kulturelle Hegemonie der deutschen Leitkultur
nicht gefährden sollen, nicht neu. Um präziser zu sein: Solche
Forderungen sind seit dem Wilhelminischen Kolonialkaiserreich ein
wiederkehrendes Strukturelement dieser Debatte. Dessen ungeachtet stellt die
Enthistorisierung die dominante Form der gesellschaftlichen Beschäftigung
mit diesem Themenbereich dar. Selbst in der sozialwissenschaftlichen Literatur
wird der Abschluss des Anwerbeabkommens mit Italien im Jahre 1955 gemeinhin als
Anfangsdatum deutscher Arbeitsmigrationspolitik begriffen. Eine Folge der
geschichtspolitischen Verdrängung ist, dass die tatsächlichen Wurzeln
dieser Politik aus dem Blickfeld geraten und überhaupt nicht diskutiert
werden, da sie weder in der politischen Debatte noch im öffentlichen
Bewusstsein präsent sind. Dabei könnte die historische Aufarbeitung
nicht nur unser geschichtliches Wissen erweitern. Durch die Verknüpfung
mit aktuellen Problemstellungen wäre es auch möglich, eine
Perspektive zu gewinnen, in der nach den Zusammenhängen zwischen
Rassismus, Arbeitsmigrationspolitik und innerer Kolonialisierung gefragt werden
kann.
Arbeitsmigration als Politik der inneren Kolonialisierung
Bisher ist es kaum der Rede wert, dass die Genese der deutschen
Arbeitsmigrationspolitik nicht nur zeitgleich zur Durchsetzung
nationalstaatlicher Kolonialpolitik, sondern auch unter der Ägide einer
verwandten Machtlogik erfolgte. Während die verspätete
Kolonialnation im »Wettlauf um Afrika« (vgl. Pakenham 1990) nach
Jahrzehnten der ideologischen Vorbereitung Mitte der 1880er Jahre ihre ersten
Schutzgebiete in Besitz nahm (Fröhlich 1994: 17-40), wurde von
deutscher Seite aufgrund der Leutenot in der ostpreußischen
Agrarwirtschaft eine zunächst grenznahe Arbeitsmigration initiiert. Diese
wurde zu Beginn der 1890er Jahre mit gezielt anti-polnischen Bestimmungen auf
das übrige Preußen ausgedehnt. In den Anfangsjahren trat die
deutsche Arbeitsmigrationspolitik als Rekrutierung von möglichst
billigen und willigen Arbeiter/-innen in den so genannten
freien Jagdgebieten Osteuropas in Erscheinung. Die
betrügerischen und oftmals auch brutalen Anwerbemethoden der beauftragten
Agenten und Kolonnenführer brachten Missstände hervor, die von der
damaligen Sozialkritik mit dem Sklavenhandel verglichen wurden. Institutionell
war zunächst die halbamtliche
Preußische
Feldarbeiter-Zentralstelle zuständig, die organisatorisch an die
Centralstelle zur Beschaffung Deutscher Ansiedler und Feldarbeiter
anknüpfte. Diese Arbeitsvermittlungsstelle wurde ursprünglich vom
Ostmarkenverein und
Alldeutschen Verband zur Förderung der
kolonialen Siedlungspolitik 1903 gegründet (Herbert 2001: 35;
Elsner/Lehmann 1988: 43-44). Das bis vor kurzem noch gültige Prinzip,
wonach Deutschland kein Einwanderungsland sei, wurde rigoros durch ein bis 1907
voll entwickeltes »System der restriktiven Ausländerkontrolle mit
dem Legitimationszwang und dem
Rückkehrzwang« (Bade 1993: 314) umgesetzt. Bis zum
Ersten Weltkrieg rückte das Deutsche Reich durch den Ausbau seines
zunehmend polizeirechtlich und zentral organisierten Systems des
temporären »Arbeiterimports« zum nach den USA
»zweitgrößten Arbeitseinfuhrland der Erde« auf
wie es der zeitgenössische Historiker Imre Ferenczi ausdrückte. 1910
waren 1,26 Millionen ausländische Arbeiter/-innen im Deutschen Reich
beschäftigt, wobei knapp zwei Drittel der Beschäftigten
hauptsächlich aus den polnischen Gebieten Österreich-Ungarns und
Russlands kamen. Während des Ersten Weltkrieges mussten viele
Migrant/-innen de facto Zwangsarbeit leisten, da die zuvor jährlich
erzwungene Ausreise durch ein Ausreiseverbot ersetzt wurde.
Die Struktur wie die Zielsetzung der deutschen Arbeitsmigrationspolitik wurde
grundlegend durch ihren gesellschaftlichen Entstehungskontext im Zeitalter des
Imperialismus geformt. In einer Gesellschaft, deren Eliten sich besonders stark
mit völkisch-nationalen, antisemitischen, rassistischen,
sozialdarwinistischen, kolonialistischen und militaristischen Ideologien
identifizierten, bestimmten diese biopolitischen Ideologien auch
maßgeblich die Konzeption und Gestaltung der Zuwanderungspolitik. So wie
die koloniale Expansion nicht zuletzt als Mittel zur Aneignung von
äußeren Ressourcen angelegt war, wurde die Arbeitsmigrationspolitik
als ein nationalstaatliches Instrument eingesetzt, um sich benötigte
Humanressourcen in temporären Rotationszyklen für das
volkswirtschaftliche Wachstum einzuverleiben. Diskriminatorische
Arbeitsmigrationspolitik kann im deutschen Entstehungskontext als
Inversion kolonialer Expansionsformen begriffen werden. Letztlich zielten
beide Politikansätze mit unterschiedlichen Mitteln darauf ab, Deutschlands
Stellung im globalen Wettkampf der westlichen Industrienationen durch
äußere und innere Kolonialisierung zu stärken.
Ihre Konvergenz zeigte sich besonders eindrücklich in den offiziellen
Kriegszielen des
Imperial Germany für Osteuropa. Während diese
Expansionspläne 1918 durch die Niederlage des Deutschen Reiches abgewendet
werden konnten, spielten kolonialrassistische Überzeugungen bei der
lebensweltlichen Umsetzung der Arbeitsmigrationspolitik im
inneren
Ausland eine bedeutsame Rolle. Schon bevor der Nationalsozialismus
slawische Untermenschen als Arbeitsvölker der
arischen Herrenrasse proklamierte, waren ähnliche
Vorstellungen in den politischen Diskursen der Wilhelminischen
Kolonialgesellschaft geläufig. Im Unterschied zur NS-Ideologie beruhten
sie auf rassistischen Ressentiments, die aber keine rassenpolitische
Herrschaftsstruktur für die systematische Neuordnung Europas forderten.
Die Idee untergebener Arbeitsvölker verband jedoch
rassisch begründete Unterlegenheits- und
Überlegenheitsvorstellungen mit Modellen der ethnischen Arbeitsteilung.
Rassifizierte Arbeitsteilungen und sozialimperialistische
Gesellschaftsstruktur
In den rassentheoretischen Diskursen der Kaiserzeit wurden polnische
Arbeitsmigrantinnen und -migranten
üblicherweise als kulturell »niedrig stehende Slawen«
stigmatisiert, als »dumme Polacken« mit einer
»kriecherischen« und »unterwürfigen« Haltung
verobjektiviert, die für schwere Arbeiten auf dem Feld und unter Tage
prädestiniert erschienen. Indem aufoktroyierte soziale Verhältnisse
verkörperlicht und als Rasseneigenschaften naturalisiert
wurden, konnten diese Menschen wie selbstverständlich als »geborene
Erdarbeiter« und »Wulacker« (Wühler) erniedrigt
werden (Bade 1993: 322). Durch die Konstruktion negativer Stereotypen wurde
ihre Abwertung rationalisiert, so dass Ablehnung, Ausgrenzung und Entrechtung
natürlich und legitim erschienen. In diesem Sinne arbeitete die deutsche
Arbeitsmigrationspolitik seit ihrer Einführung effektiv mit rassistischen
Zuschreibungen und ausbeuterischen Praktiken, die eine hierarchische
Gesellschaftsstruktur auf kolonialrassistischer Grundlage zur Folge hatten.
Aufgrund von gesetzlichen Verordnungen wurden den zugewanderten Arbeiter/-innen
grundlegende Rechte wie Vertrags- und Bewegungsfreiheit verweigert. Als de
facto Leibeigene auf Zeit waren sie der Willkür ihrer deutschen
Vorgesetzten und Gutsherren nahezu schutzlos ausgeliefert, so dass Lohnbetrug,
gewalttätige Übergriffe und polizeiliche Kriminalisierung der
flüchtigen Vertragsbrüchigen die Regel waren. Durch die
Aufoktroyierung von halbfeudalen Arbeitsbedingungen, die die gewerkschaftliche
und sozialdemokratische Kritik als Dasein rechtloser Lohnsklaven
bezeichnete, wurden Lebensformen und eine ethnisierende Segmentierung der
Gesellschaft geschaffen, die an die rassistische Struktur überseeischer
Kolonien erinnerte. Zeitgenössische Kommentatoren verglichen oftmals mit
Befriedigung die Funktionen der »Arbeiterschicht zweiten Grades«
mit denen von unterdrückten Gruppen in klassischen Kolonialgesellschaften.
So nahmen Migrant/-innen in Deutschland nach Beobachtung des Agrarhistorikers
Sartorius von Waltershausen Positionen ein, die denen »der Neger in den
nordamerikanischen Oststaaten, der Chinesen in Kalifornien, der ostindischen
Kulis in Britisch-Westindien« (zitiert nach Bade 1993: 319) entsprachen.
Die innere Kolonialisierung wurde durch eine gezielte Politik der
Unterschichtung von migrantischen Arbeiter/-innen forciert, in der die
Migrationspolitik neben nationalökonomischen auch sozialimperialistischen
Intentionen folgte, um soziale und politische Konflikte im Inneren zu
entspannen. Friedrich Syrup, der als Präsident die Reichsanstalt für
Arbeitsvermittlung zunächst in der Weimarer Republik und später auch
in der NS-Zeit führte, beschrieb 1918 diese sozialimperialistische Praxis
wie folgt:
»Ist es unvermeidlich, ausländische Arbeiter heranzuziehen, so
erscheint es auch sozialpolitisch angezeigt, sie gerade mit den niedrigsten,
keine Vorbildung erfordernden und am geringsten entlohnten Arbeiten zu
beschäftigen, denn dadurch besteht für die einheimische
Arbeiterschaft gleichzeitig der beachtenswerte Vorteil, dass ihr der Aufstieg
von der gewöhnlich niedrig entlohnten Tagelöhnerarbeit zu der
qualifizierten und gut entlohnten Facharbeit wesentlich erleichtert
wird.« (zitiert nach Treibel 1990: 90)
Wie zahlreiche Quellen belegen, wurden rassistische und sozialimperialistische
Praktiken in den Amtsstuben und Wirtschaftsbetrieben als »strenger
Grundsatz« gehandhabt (vgl. Bade 1980: 288-289).
Tradierungen und Analogien in der BRD
Wie die Gastarbeiter in der BRD wurden auch ihre
osteuropäischen Vorgänger nicht nur im Alltagsrassismus als faul,
dumm, übel riechend, ungebildet, gewalttätig, kriminell,
gefährlich, kulturell unterwickelt, separatistisch, politisch
radikalisiert etc. vorgestellt. Entsprechend wurden sie einem engmaschigen Netz
der staatlichen Überwachung unterstellt, die auf vielfältigen
polizeilichen und geheimdienstlichen Kontrollen beruhte. Wie überzogen
diese Ängste waren, zeigte sich etwa am Fall des nationalliberalen
Soziologen Max Weber. Im Jahr 1892 warnte er in seiner damals viel beachteten
Studie
Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen
Deutschland eindringlich vor der angeblich drohenden »Polonisierung
des Ostens« (Herbert 2001: 26-31). Diese Überfremdungsthese war als
ideologisches Phantasma empirisch nicht haltbar und vermutete in ihrem
paranoiden Eifer in praktisch allen Gesellschaftsbereichen Formen der
volkswirtschaftlichen, bevölkerungspolitischen, kulturnationalen und
rassischen Verdrängung des angestammten Deutschen. Gerade die
Verwissenschaftlichung des Rassismus gibt Auskunft über die
gesellschaftliche Akzeptanz von hierarchischen Ungleichheitsverhältnissen.
Die Kodifizierung des rassistischen Wissens und ihre Umsetzung durch staatliche
Institutionen weisen darauf hin, dass die historische Verfasstheit dieser
Gesellschaft strukturell durch diskriminierende Politikansätze
geprägt ist.
In modifizierter und partiell abgeschwächter Form finden sich
rassifizierte Hierarchieverhältnisse auch im Umgang der
bundesrepublikanischen Gesellschaft mit den angeworbenen
Gastarbeitern wieder: In der Funktion als billige
industrielle Reservearmee, im Inländerprimat des
Arbeitsförderungsgesetzes, in der dauerhaften Struktur der
gesellschaftlichen Unterschichtung, in der Verweigerung staatsbürgerlicher
Rechte und in der auf Diskriminierung beruhenden Ausländerpolitik werden
historische und koloniale Muster deutlich sichtbar. Der in der Weimarer
Republik offiziell eingeführte verwaltungstechnische Begriff
Inländerprimat bezeichnet das Prinzip, wonach Deutsche und
ihnen gleichgestellte Arbeiter/-innen aus den Mitgliedsstaaten der EU auf dem
Beschäftigungsmarkt durch Vorzugsbehandlung und andere Privilegien
gegenüber postkolonialen Migrant/-innen besser gestellt werden sollten.
Ein anderes Anschauungsbeispiel für institutionelle Tradierung ist etwa
die Geschichte der so genannten Legitimationskarte für
Arbeitsmigrant/-innen. Sie wurde in der Kolonialzeit ab 1912 von der
Deutschen Arbeiterzentrale, in der Weimarer Republik seit 1927 von der
Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
und in der Nachkriegszeit schließlich von der
Bundesanstalt für
Arbeit ausgestellt (Bade 1983: 48), um die Arbeitsmigration und ihre
Subjekte zu steuern und zu kontrollieren. Die preußische
Legitimationskarte, die die Inlandslegitimation dokumentierte, war
ursprünglich Bestandteil eines arbeitsrechtlichen Verhältnisses, das
Elemente einer zeitlich befristeten Leibeigenschaft beinhaltete. Entsprechend
wurden den Zugewanderten fundamentale Arbeitnehmerrechte wie Vertragsfreiheit
und Freizügigkeit de facto vorenthalten. Stattdessen wurden sie bei der
Einreise von der Zentralstelle einem ihnen unbekannten Arbeitgeber für die
Dauer ihres Aufenthaltes in Preußen unkündbar zugewiesen. Dieser
Verwaltungsakt der Inbesitznahme wurde auf der Legitimationskarte amtlich
vermerkt, wobei eine Zweitanfertigung an das polizeiliche Zentralregister
erging.
Dass die Gastarbeiter in der BRD im ersten Jahr nicht das Recht
hatten, ihren Arbeitgeber zu wechseln und zudem systematisch im
Ausländerzentralregister polizeilich erfasst wurden, ist kaum als
historischer Zufall oder Betriebsunfall anzusehen. Obwohl das
Ausländerzentralregister in der BRD aufgrund einer als
selbstverständlich erachteten institutionellen Überwachungs- und
Zugriffspolitik bereits seit 1953 in modernisierter Form fortgeführt wird,
ist die eigentlich unabdingbare gesetzliche Grundlage erst 1994 nach der Kritik
der Datenschutzbeauftragten nachträglich eingeführt worden. Dabei ist
die Grundidee, aber auch die Ausgestaltung des Ausländerzentralregisters
höchst problematisch. Unbelastet von deutschen Rechtsbräuchen kommt
das unabhängige Gutachten des Generalanwalts des Europäischen
Gerichtshofs Luis Maduro im April 2008 zum Ergebnis, dass die ausufernde
Erfassung, Speicherung und vernetzte Benutzung personenbezogener Daten in der
heutigen Form nicht mit EU-Recht und EU-Datenschutzstandards vereinbar sei.
Auch käme die Ungleichbehandlung von nicht-deutschen
Staatsbürger/-innen mit dem Verbot der Diskriminierung auf Grundlage der
Nationalität in Konflikt. Solche Analogien und Tradierungen zeigen, wie
stark das Gastarbeiterrecht auf historische Vorläufer rekurriert, wodurch
kolonialrassistische Ideologien mittels staatlicher Politik umgesetzt wurden.
Auch das 1965 wieder eingeführte Ausländergesetz beruht im Kern auf
der
Ausländerpolizeiverordnung von 1938, der
Verordnung
über ausländische Arbeitnehmer von 1933 sowie der
Kriegsverordnung für die Behandlung von Ausländern von 1939.
Dass kolonial anmutende Gesellschaftsverhältnisse sich keineswegs
historisiert haben, zeigt sich auch am Beispiel der andauernden ethnischen
Unterschichtung der Gastarbeiter. Nach Schätzungen des
Migrationsforschers Friedrich Heckmann konnten während der 1960er und
1970er Jahre etwa 2,7 Millionen Deutsche in der BRD durch die gezielte
Benachteiligung der Migrant/-innen sozial aufsteigen. Wie der letzte
Armutsbericht der Bundesregierung von 2004, aber auch die PISA-Studien belegen,
hat sich die Politik der verweigerten Chancengleichheit und Gleichberechtigung
zu einer Struktur der gesellschaftlichen Deklassierung verfestigt, die an die
nachfolgenden Generationen sozial vererbt wird. Die breit
angelegten PISA-Studien belegen übereinstimmend, dass insbesondere das
deutsche Bildungssystem auch im internationalen Vergleich gerade
Schüler/-innen strukturell benachteiligt, die aus sozial marginalisierten
Familien kommen über migrantische Hintergründe verfügen und.
Angesichts der relativen Starrheit der rassifizierten Segregation und sozialen
Schließung könnte man tatsächlich auf die disputierliche Idee
kommen zu fragen, inwieweit solche Gesellschaftsstrukturen Ähnlichkeiten
zur Apartheid in kolonialrassistischen Staaten aufweisen.
Integration als nationalpädagogische Fremdbestimmung von Muslimen und
People of Color
Mit den Integrationskursen steht ein nationalpädagogisches
Disziplinierungsinstrument zur Verfügung, mit dem Immigrierte der
deutschen Kultur- und Werteordnung überantwortet werden. Wie das
rot-grüne Zuwanderungsgesetz wurde die Integrationskursverordnung (IntV)
zum 1. Januar 2005 eingeführt und trug die politische Handschrift des
mehrfachen Big Brother Award Gewinners Otto Schily. Im Kern schreibt diese
Verordnung weniger das Recht als die nach [[section]] 44a des neuen
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) auferlegte Pflicht zur Teilnahme an einem
penibel überprüften Sprach- und Orientierungskurs vor. Die nun bis zu
930 Unterrichtsstunden umfassenden Kurse sind als eine zweite
Sozialisationsinstanz konzipiert, um nach erfolgreicher Prüfung das vom
Goethe-Institut entwickelte Sprachdiplom
Zertifikat Deutsch zu erwerben
und die politisch-kulturelle Orientierung der Prüflinge zu evaluieren
sowie weiterzuentwickeln. Bis Ende 2006 sind rund 250.000 Menschen
durch 16.850 Kurse der Integrationsindustrie geleitet worden. Sie wurden dabei
von einem entsprechend großen Apparat aus etwa 12.000 Lehrenden und 1.800
zugelassenen Trägern betreut, die wiederum der Kontrolle des
neugeschaffenen
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) unterstehen. Diese Institution ist 2002 aus dem früheren
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
hervorgegangen. Aufgrund zahlreicher Fehlentscheidungen sowie menschenrechtlich
bedenklicher Verfügungen stand sie im Mittelpunkt der Kritik von
Amnesty International und
Pro Asyl.
Mit den im
Nationalen Integrationsplan (NIP) vom Juli 2007
angekündigten Maßnahmen, die nicht zuletzt auf mehr
Controlling, Erfolgskontrollen, Ausbau elektronischer
Datenbanken und Überwachungsnetzwerke zur Identifizierung
integrationsbedürftiger MigrantInnen setzen, zeichnet sich
eine weitere Verschärfung des deutschen Integrationsregimes ab. Die
Bundesregierung beabsichtigt in den nächsten Jahren, Pflichtkurse für
280.000 bis 336.000 bereits in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten
als nachholende Integration durchzuführen. Auch die für
diese Aufgabe veranschlagte Summe von 380 bis 456 Millionen Euro verdeutlicht
die gesellschaftspolitische Relevanz und Dimension dieses sozialtechnologischen
Megaprojektes (Ha 2007a).
Deutsche Leitkultur + Diskriminierungen = Integration?
Wie die ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studie, aber auch die
unterprivilegierten Abschlüsse migrantischer SchülerInnen zeigen,
haben viele Eingewanderte und ihre Nachkommen die selektiven Mechanismen des
deutschen Bildungssystems eher als Instrument der sozialen Ausgrenzung
erfahren. Auch der letzte offizielle Armutsbericht »Lebenslagen in
Deutschland« (2005) konstatiert eine zunehmende soziale
Ausschließung: »Insgesamt ist in Deutschland das Armutsrisiko von
Personen mit Migrationshintergrund zwischen 1998 und 2003 von 19,6% auf 24%
gestiegen, es liegt damit weiterhin deutlich über der Armutsrisikoquote
der Gesamtbevölkerung« (S. 166). Dass ausgerechnet der Zwang zur
sekundären Sozialisation nun als favorisiertes Mittel ihrer
gesellschaftlichen Integration präsentiert wird, trägt nicht zur
Vertrauensbildung bei. Vielmehr verfestigt sich der Eindruck, dass die
Integration in ihrer imperativen Form mit dem Anspruch auf kulturelle und
politische Vormachtstellung zugunsten der deutschen Leitkultur
verbunden ist. Wie es in der Verordnung heißt, sollen die
Integrationskurse neben dem »Erwerb ausreichender Kenntnisse der
deutschen Sprache« auch »Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur
und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des
demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien
der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und
Religionsfreiheit« ([[section]] 3 IntV) vermitteln. Im offiziellen
Politikverständnis der BRD fungiert die verordnete Integration somit als
ein nationalpädagogisches Mittel, das sich der Durchsetzung und Pflege der
als überlegen angesehenen deutschen Kultur- und Werteordnung widmet. Da
die amtliche Integrationspolitik wie im NIP deutlich wird sich
wie selbstverständlich nicht mit institutionalisiertem Rassismus und
struktureller Diskriminierung befasst, wird die unterprivilegierte Lebenslage
der Eingewanderten ganz nebenbei als Resultat eines selbstverschuldeten
sprachlichen Defizits stilisiert. Daher sollen die deutschen Institutionen
zukünftig nicht nur den Integrationsbedarf der Betroffenen
ermitteln und die entsprechende Therapie festlegen. Auch die
MigrantInnen selbst müssen in den Kursen nun ihre
Integrationsfähigkeit beweisen, oder sie riskieren
entsprechende Sanktionen.
Als Disziplinierungsinstrument wird Integration durch legale Drohungen und
Bestrafungen staatlich institutionalisiert, die von der Verweigerung der
Staatsbürgerschaft ([[section]] 11 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz)
über die Kürzung der sozialen Grundsicherung ([[section]] 44a Abs. 3
AufenthG) bis zu aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen wie etwa der Ausweisung
reichen ([[section]] 8 Abs. 3 AufenthG). Auf diese Weise wird
Integrationsbedürftigkeit zu einer juristischen Kategorie des
Strafrechts, während die Verpflichtung zum Besuch von Integrationskursen
einer 930-stündigen Untersuchungs- und Besserungshaft gleicht. Zeitgleich
mit der Integrationskursverordnung wurde nach [[section]] 55 AufenthG eine
Ermessungsabschiebung eingeführt, die aufgrund einer
»tatsachengestützten Gefahrenprognose« ([[section]] 58a
AufenthG) gegen Verdächtigte erlassen werden kann. Der Rechtsschutz wird
außerdem auf eine gerichtliche Instanz beschränkt. Auch
»geistige Brandstifter« ([[section]] 55 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG),
Angehörige verbotener Vereine ([[section]] 54 Nr. 7 AufenthG),
»Schleuser« ([[section]] 53 Nr. 3 AufenthG) und so genannte
Unterstützer terroristischer Organisationen ([[section]] 54 Nr. 5
AufenthG) sind von der Regelfall- oder Ermessensausweisung betroffen.
Zusätzlich gilt, dass eine Regelanfrage über verfassungsfeindliche
Einstellungen vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer
Einbürgerung durchgeführt wird.
Die jüngste juristisch-administrative Verschärfung der deutschen
Integrationspraxis gibt erneut Anlass, in eine kritische Auseinandersetzung mit
dieser Thematik einzusteigen. Gerade vor dem Hintergrund der entstehenden
Integrationsindustrie ist es wichtig, die mit dem Begriff der Integration
einhergehenden Vorstellungen und Praktiken aus einer postkolonialen Perspektive
zu hinterfragen. Anstelle von Angeboten auf freiwilliger Basis wird mit der
staatlichen Anordnung erstmals im Aufenthaltsrecht (ehemals
Ausländergesetz) der Grundsatz des Integrationszwangs als
nationalpädagogisches Machtinstrument für die kulturelle
(Re-)Sozialisierung und politische Umerziehung ausschließlich für
migrantische Subjekte mit außereuropäischen Herkünften
institutionalisiert. Auf der dominanten Seite sind sowohl die etwa vier
Millionen AnalphabetInnen, aber auch das latent rechtsextreme
Bevölkerungsviertel durch ihre deutsche Staatsbürgerschaft vor der
Weiterbildungspflicht und den drohenden Entrechtungen durch die
Integrationspolitik geschützt.
Postkoloniale Migrant/-innen, Muslime und People of Color als Zielgruppen
Die Integrationskurse sind ausschließlich für Migrierte aus
Nicht-EU-Ländern zwingend. In der BRD lebende EU-Bürgerinnen und
-Bürger verfügen dagegen über ein auf Freiwilligkeit basierendes
Wahlrecht. Während EU-Mitgliedern das Privileg sozialer, ökonomischer
und politischer Teilhabe gewährt wird, müssen sich alle anderen
Eingewanderten bereits den Anspruch auf Aufenthalt durch einen aktiven Nachweis
ihrer Integrationsfähigkeit erarbeiten. Ebenso wenig
müssen EU-Angehörige bei als mangelhaft bewerteten
Integrationsleistungen negative Sanktionen fürchten. Von den repressiven
Auswirkungen sind vornehmlich People of Color (vgl. Ha 2007b) aus den
postkolonialen Staaten in Asien, Lateinamerika und Afrika, insbesondere
muslimische Communities mit türkischen und arabischen Hintergründen
betroffen. Neben ökonomischen und politischen Erwägungen spielen auch
kulturell-religiöse und ethnisierende Gesichtspunkte bei der Gestaltung
von Integrationsregelungen und Einwanderungsbegrenzungen eine wichtige Rolle.
Durch die unterschiedliche Vergabe von Rechten und Pflichten etwa im
Aufenthaltsrecht und im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wird die
euro- und ethno-zentrierte Hierarchie unter Eingewanderten weiter verfestigt.
Nach Festlegungen im AFG ([[section]] 19), in der Arbeitserlaubnisverordnung
und im Sozialgesetzbuch (SGB III, [[section]] 285) dürfen
Nicht-EU-Angehörige nur dann einen Job annehmen, wenn weder Deutsche noch
gleichgestellte EU-Bürger diese Arbeit zu den angebotenen Bedingungen
akzeptieren können. Diese diskriminatorischen Gesetze tragen
maßgeblich zu einer systematischen gesellschaftlichen Unterschichtung von
außereuropäischen People of Color bei, die dadurch gezwungen werden,
stigmatisierte, körperlich belastende und schlecht bezahlte
Tätigkeiten in der untersten Betriebshierarchie anzunehmen. Die
sozialimperialistischen Effekte dieser rassistischen Arbeitsteilung erinnern an
die koloniale Kuli-Ökonomie aus vorangegangenen Jahrhunderten.
Dadurch werden Analogien zu den Anfängen der nationalstaatlich
organisierten Arbeitsmigrationspolitik im Wilhelminischen Kaiserreich
wachgerufen, die kolonialen Mustern folgen.
Da die Umerziehungsmaßnahmen in spezifischer Weise postkoloniale
MigrantInnen betreffen, sind koloniale Kontexte, Analogien und Konfigurationen
im Konzept der Integrationskursverordnung bei der Analyse zu
berücksichtigen. Sowohl People of Color als auch postkoloniale
MigrantInnen stehen mit ehemals kolonialisierten geografischen Regionen in
Verbindung und sind mit tradierten kolonialrassistischen bzw.
orientalistisch-islamophoben Zuschreibungen konfrontiert. Integration als Akt
politischer Kontrolle, kultureller Überprüfung und juristischer
Zertifizierung wirft vor diesem Hintergrund besonders in seiner
hoheitsamtlichen Form und massenwirksamen Funktion weit reichende Fragen auf.
Sie betreffen sowohl die identitätspolitischen
Selbstvergewisserungsstrategien der deutschen Dominanzgesellschaft als auch
jenes post-/koloniale Machtverhältnis, das sich in der selektiven
Migrations- und Integrationspolitik artikuliert. Diese strukturellen
Asymmetrien legen eine Untersuchung ihrer kolonialisierenden Effekte nahe. Von
hier wäre es dann auch möglich, nach dem Zusammenhang von Migration,
Integration und Nationalstaat im Kontext seiner historischen Genese und
post-/kolonialen Einbettung zu fragen.
Im offiziellen Integrations(dis)kurs scheinen soziale Realitäten wie
struktureller Rassismus, institutionelle Diskriminierungen und sozio-kulturelle
Ausgrenzungen durch die deutsche Gesellschaft wenig relevant. Indem die
rassistischen Einschreibungen dieser Gesellschaft unsichtbar gemacht werden,
entfallen wichtige Ausgangspunkte für ein machtkritisches Verständnis
von Migration, Rassismus und Integration. Stattdessen werden die migrantischen
Anderen in hegemonialen Diskursen analog zum kolonialen Anderen per Definition
als defizitär vorgeführt. Auch stellt die erzwungene Integration in
die Nation nicht nur die proklamierten Integrationsziele, also die angestrebte
Verwirklichung der republikanischen Verfasstheit und die Freiheitsrechte in
Frage. Darüber hinaus negiert sie in eklatanter Weise das kulturelle und
politische Selbstbestimmungsrecht von migrantischen Subjekten. Stattdessen
herrscht ein Blick vor, der sie somit als gefügige Verwaltungs- und
Zugriffsobjekte nationalstaatlicher Agenturen unterordnet. Denn was ist in der
vorherrschenden Diskussion mit dem scheinbar so einbeziehenden
Integrationsbegriff tatsächlich gemeint? »In der politischen
Diskussion wird er [der Begriff der Integration] meist als Assimilation
verstanden, das heißt, als Aufgabe der eigenen kulturellen und
sprachlichen Herkünfte und im Sinne einer totalen Anpassung an die
deutsche Gesellschaft.« (Meier-Braun 2002: 25f)
Postkoloniale MigrantInnen unter Generalverdacht
Die aktuelle Integrationskursverordnung zeigt in ihren
grundsätzlichen Annahmen, dass migrantische und Schwarze Subjekte als
defizitäre und deviante Objekte definiert werden. Dabei treten
augenfällige Parallelen und Analogien zwischen der tradierten Praxis der
deutschen Ausländerpolitik und kolonialen Kategorisierungen des Anderen
auf. Sowohl das aktuelle Integrationskonzept als auch die historischen
Strategien der Zivilisierung und Missionierung beruhen auf einer
manichäischen Differenzkonstruktion (Fanon 1981: 31-34). Darin werden die
Anderen erst durch die koloniale Erziehung wie Wir und würden
dadurch nicht mehr als mangelhafte Wesen mit unterentwickelten kulturellen
Werten gelten. Die Imaginierung des Anderen als gänzlich anders, findet in
der Herstellung des Dualismus zwischen innen und außen, Subjekt und
Objekt, rational und irrational, gut und böse ihre grundlegendste
Voraussetzung. Dazu werden die postkolonialen Anderen in einem ersten Schritt
ungeachtet ihrer inneren Komplexität und Heterogenität
entindividualisiert, vereinheitlicht und negativ konnotiert. Anschließend
werden diese zugeschriebenen Kollektivmerkmale in einem
Gegensatzverhältnis zu den in der BRD gültigen Normen und Werten
des Westens fixiert. Auf diese Weise wird eine Fremdwahrnehmung
reproduziert, die auch den Umgang der Übersee-Administration mit ihren
kolonialisierten Untertanen im deutschen Kaiserreich prägte. Diese
erscheinen nicht als Träger unveräußerlicher Individualrechte
oder als politische Subjekte mit einem Recht auf Selbstbestimmung. Vielmehr
setzt die Erziehung des Kolonialisierten seine Verkindlichung und
Entmündigung voraus. In dem Maße, wie die dominante Macht ihn
pädagogisch, politisch und kulturell sozialisiert, wird auch seine
gesellschaftliche Existenz und Subjektwerdung autorisiert.
Die Integrationskursverordnung geht davon aus, dass People of Color im
Gegensatz zu den anscheinend aufgeklärten und zivilgesellschaftlich
vollentwickelten Deutschen die Prinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit,
Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit nicht oder nur unzureichend
verinnerlicht hätten. Indem mit solchen kollektiven Negativeigenschaften
operiert wird, werden vor allem Muslime allgemein autoritärer,
sexistischer wie fundamentalistischer Grundhaltungen und Verhaltensweisen
verdächtigt. Offensichtlich arbeitet diese Politik mit Fremd- und
Feindbildern, wodurch tradierte rassistische und orientalistisch-islamophobe
Stereotype staatliche Anerkennung finden. Auf diese Weise werden diese Menschen
doppelt entwertet: Zum einen werden ihre kulturellen Kompetenzen negativ
konnotiert; zum anderen werden der grassierende politische Extremismusvorwurf
und der religiöse Fundamentalismusverdacht als Grundlage staatlichen
Handelns legitimiert und verallgemeinert. Dieser Generalverdacht
äußert sich auch in den Plänen für die nachholende
Integration von alteingesessenen MigrantInnen, die in einem Vorentwurf
noch als
Bestandsausländer tituliert wurden. Der
Begriff des Bestandsausländers signalisiert eine
kaufmännische Perspektive im Geschäft mit der Ware menschliche
Arbeitskraft, wodurch die Betroffenen zu Objekten eines nationalen
Inventars verwandelt werden. Sie sollen als abhängige Verfügungsmasse
dem politischen Gestaltungswillen beliebig unterstehen. Statt die
Priorität auf den Abbau von strukturellen Diskriminierungsdynamiken und
die nachhaltige Herstellung von gleichen Rechten zu legen, fördert die
politische Rahmensetzung der rigiden Integration rassistische Praktiken.
Koloniale Konstruktionen und Kontingenzen
Seit dem aufklärerischen Zeitalter der europäischen
Entdeckungen und Expansionen wird aus der manichäischen
Differenzkonstruktion zwischen dem Westen und seinem
Anderen ein Anspruch auf politische und kulturelle Überlegenheit
abgeleitet. Historisch standen die gewalttätige Missionierung,
Zivilisierung und (Unter-)Entwicklung des Anderen im Zentrum
kolonial-pädagogischer Praktiken. Auch im hiesigen Integrationsdiskurs
wird erst durch die dominante Perspektive das Paradigma der Defizitkompensation
und des Kulturkonflikts erschaffen, das die demokratische und
kulturelle Werterziehung des postkolonialen Anderen als vordringliches Ziel der
politischen Agenda vorschreibt. Die diskursive und soziale Konstruktion
fundamentaler Differenzen und Antagonismen im Verhältnis zwischen
Deutschen und Ausländern birgt entscheidende
Vorteile für die Dominanzgesellschaft. Mittels ihrer letztlich staatlich
durchsetzbaren Definitionsmacht kann sie auf allen relevanten Ebenen ein
Unterordnungsverhältnis zwischen deutscher Leitkultur und den als
bedrohlich oder defizitär konstruierten migrantischen Kulturpraktiken
etablieren. Die angenommenen Abweichungen migrantischer Provenienz werden
oftmals kriminalisiert, fanatisiert und pathologisiert. Erst so ist es
möglich, migrantische Subjekte auch gegen ihren Willen der als notwendig
erachteten administrativen Behandlung zuzuführen. Integration wird so zu
einer gesellschaftlichen Unterwerfungs- und kulturellen Unterordnungstechnik.
Obwohl die Mittel sich unterscheiden, werden Einwanderungswillige
strukturell vergleichbar wie die Insassen von kolonialen
Strafinstitutionen und Besserungsanstalten sowohl zum Schutze der deutschen
Gesellschaft als auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Betroffenen
überprüft, korrigiert und ausgesondert. Sie werden als infantile
Schüler behandelt, die von streng definierten Ausnahmen abgesehen
([[section]] 4 Abs. 2 IntV) der westlichen Aufklärung sowie der
deutschen Kultur- und Spracherziehung bedürfen. Entsprechend basiert eine
Integrationspraxis, die als intern agierende Entwicklungshilfe angelegt ist,
auf einem linearen Konzept von Zivilisation und Kulturentwicklung. Dabei werden
die nationalen Kulturwerte universalisiert und das Deutsche an die
Spitze einer nationalkulturell orientierten Entwicklungspyramide gesetzt. Wie
in der kolonialen Pädagogik, die den indigenen Untertanen die
Zivilisierung durch die harte, aber gute Hand des Kolonialherrn
aufdrückte, sollen vornehmlich postkoloniale People of Color durch
Integrationszwang und Selbstverpflichtungen gefördert werden.
Literatur
- Bade, Klaus J. (1980): »Politik und Ökonomie der Ausländerbeschäftigung im preußischen Osten 1885-1914. Die Internationalisierung des Arbeitsmarkts im Rahmen der preußischen Abwehrpolitik.« In: Puhle, Hans-Jürgen & Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Preußen im Rückblick. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 273-299.
- Bade, Klaus J. (1983): Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland. Deutschland 1880-1980. Berlin: Colloquium.
- Bade, Klaus J. (1993): »Billig und willig die ausländischen Wanderarbeiter im kaiserlichen Deutschland.« In: Ders. (Hg.): Deutsche im Ausland Fremd in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München: Beck, S. 311-324.
- Elsner, Lothar & Joachim Lehmann (1988): Ausländische Arbeiter unter dem deutschen Imperialismus 1900-1985. Ost-Berlin: Dietz.
- Fanon, Frantz (1981): Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Fröhlich, Michael (1994): Imperialismus: Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880-1914. München: dtv.
- Ha, Kien Nghi (2007a): »Integration kann nicht verordnet werden. Ohne gleiche Rechte und Selbstbestimmung keine Integration«, 15.1.2008.
- Ha, Kien Nghi (2007b): People of Color Koloniale Ambivalenzen und historische Kämpfe, In: Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland, Münster: Unrast, S. 31-40.
- Herbert, Ulrich (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. München: Beck.
- Meier-Braun, Karl-Heinz (2002): Deutschland, Einwanderungsland, Frankfurt am Main: Suhrkamp
- Pakenham, Thomas (1990): The Scramble for Africa 1870-1912. London: Weidenfeld and Nicolson.
- Treibel, Annette (1990): Migration in modernen Gesellschaften. Weinheim: Juventa.
Anmerkung
(1) Dieser Text basiert auf meinen Ausführungen in »Die kolonialen
Muster deutscher Arbeitsmigrationspolitik« (2003) in: Encarnación
Gutiérrez Rodríguez & Hito Steyerl (Hg.):
Spricht die
Subalterne deutsch? Postkoloniale Kritik und Migration. Münster:
Unrast, S. 56-107 und »Deutsche Integrationspolitik als koloniale
Praxis« (2007) in: Kien Nghi Ha/Nicola Lauré al-Samarai/Sheila
Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color
auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland, Münster:
Unrast, S. 113-128.